Als Schweizer Muslima in der Öffentlichkeit – ein Balanceakt im Medienzirkus / 20.04.2018
+Fragen über Fragen…
Als praktizierende Muslima werde ich ständig mit Fragen konfrontiert: «Wieso trägst du das Kopftuch? Wirst du dazu gezwungen?», «Warum fastest du? Ist das nicht schädlich für die Gesundheit?», «Wie sieht es mit Gewalt und den Frauenrechten im Islam aus?». Grundsätzlich freue ich mich über Fragen zu meiner Religion und beantworte sie gerne. Hinter den Fragen, mit denen ich tagtäglich konfrontiert werde, stecken jedoch nicht nur Neugier, sondern auch viele Vorurteile. Um diesen Vorurteilen entgegenzuwirken, finde ich es jedoch umso wichtiger, Offenheit zu zeigen gegenüber Fragen, welche sich nichtmuslimische Mitmenschen stellen.
Interviews als Beitrag zum interreligiösen Dialog
Es existieren zahlreiche Möglichkeiten, wie man auf solche Fragen antworten kann: in einem persönlichen Gespräch, in Form eines Workshops, während einem Moscheerundgang oder aber in den Medien. Interviews in öffentlichen Medien haben den Vorteil, dass eine breite Leserschaft erreicht wird. Zwar muss man damit rechnen, dass je breiter die Leserschaft ist, man auf umso mehr Kritik stossen wird. Auf sozialen Netzwerken finden sich zu jedem Interview von mir auch viele verletzende und beleidigende Kommentare. Damit kann ich jedoch mittlerweile gut umgehen und schenke ihnen keine grosse Aufmerksamkeit mehr. Denn durch meine Interviews ermögliche ich der Leserschaft, sich selbst ein Bild davon zu machen, wie eine praktizierende muslimische Frau in der Schweiz ihren Alltag gestaltet, und leiste damit auch einen Beitrag zum interreligiösen Dialog. Das überwiegt für mich die Nachteile.
Vorsicht geboten
Leider musste ich aber lernen, dass man auch bei der Annahme von Interviewanfragen vorsichtig sein muss. Im Frühling 2016 schrieb mir ein Journalist einer namhaften Schweizer Zeitung: «Wir planen, im Sommer 2016 ein Heft, bestehend aus Portraits unterschiedlicher in der Schweiz lebenden Muslimas und Muslimen, zu veröffentlichen. Gerne würden wir auch Sie in diesem Heft kurz vorstellen.» Selbstverständlich nahm ich diese Interviewanfrage gerne an, traf mich mit dem Journalisten in der Moschee, in welcher ich zur damaligen Zeit aktiv war, und bei meiner Familie zu Hause. Er bedankte sich bei uns, schickte mir das Portrait zum Gegenlesen und versprach mir, alle meine Änderungen aufzunehmen.
„Verschiedene Portraits von in der Schweiz lebenden Musliminnen und Muslimen“!?
Im August 2016 war es dann so weit. Ich las das veröffentlichte Porträt über mich durch. Der Anfang klang harmlos. Doch von Zeile zu Zeile flog meine Zufriedenheit immer weiter weg, bis schliesslich nichts mehr davon zurückblieb. Sein Versprechen hatte der Journalist nicht eingehalten. Alle Stellen, die er mir versprochen hatte zu ändern, hatte er einfach so stehengelassen. Er hatte sogar neue Stellen zugefügt, welche ich noch nie zu Gesicht bekommen hatte und die auch überhaupt nicht der Wahrheit entsprachen. Ausserdem stand mein Portrait plötzlich in einem völlig neuen Kontext: Es wurde in einen längeren Artikel über den Imam in der oben erwähnten Moschee veröffentlicht, welcher diesen in ein sehr schlechtes Licht rückte. Der Journalist hatte mein Porträt dafür missbraucht, um die Gerüchteküche über jenen Imam hochzukochen.
Umgang mit schlechter Erfahrung
Ich war bitter enttäuscht und brauchte eine ganze Weile, um diese schlechte Erfahrung zu verdauen. Sie hielt mich jedoch nicht etwa davon ab, weitere Interviewanfragen, Einladungen als Referentin oder Einladungen zu verschiedenen Workshops über den Islam anzunehmen. Nein. Denn es ist mir wichtig, zu vermitteln. Brücken zu bauen. Vorurteile aus der Welt zu schaffen. Mich für ein friedliches Zusammenleben in der Gesellschaft und die Religionsfreiheit einzusetzen. Diese grossen Anliegen von mir, würde ich nicht aufgrund eines unprofessionellen Journalisten aufs Spiel setzen. Aber selbstverständlich überlege ich mir mittlerweile gut, welche Interviewanfragen ich annehme – und welche nicht. Sich als Schweizer Muslima in den Medien zu positionieren, ist manchmal ein ziemlicher Balanceakt.