15.11.2024
Kultur und die ewige Suche danach
«Kultur ist meist nur das Gerücht von Kultur»
Mit diesem Zitat trifft der deutsche Schriftsteller Gregor Brand den Definitionsnagel auf den Begriffskopf. Es scheint in der Natur der Kultur zu liegen, dass sie so schwer greifbar wie doch umfassend ist. Kultur prägt uns, bewegt uns und lässt uns ratend zurück. Zahlreiche Definitionsversuche aus verschiedensten Disziplinen ranken sich um Sie, doch es scheint, dass jeder Rahmen, den man um Sie legt, nur zu dessen Sprengung führt. Über Kultur streiten wir, und doch bringt Sie uns einander näher. Der gemeinsame Theaterbesuch, das Austauschen von leckeren Rezepten aus allen Regionen der Welt, das andächtige Lauschen eines Publikums, das wilde, gemeinsame Tanzen an einem guten Konzert: Kultur vereint uns Menschen, lässt uns aus unserem Alleinsein und Alltag treten und spüren, dass wir in unserer Verschiedenheit doch eine schöne Form des Gemeinsamen spüren können. Kultur kann aber auch trennen und seine hässliche Fratze zeigen. Sie macht den Anderen zum unerwünschten Fremden. Sie verdammt gewisse Lebensweisen und preist andere an. Sie polarisiert und lässt uns teils dort verstummen, wo wir reden sollten.
Fest steht: Wir alle haben und leben in Kultur. Gewisse Menschen sogar von der Kultur. Und wir alle haben eine Idee, oder eben ein Gerücht davon. Kultur lässt sich vielleicht begrifflich nicht fassen, aber stets erfahren und spüren. Über Kultur lässt sich stets streiten, da Sie sich ewig wandelt. Dies nahmen wir zum Anlass, um Menschen auf den Strassen Berns direkt über ihre Vorstellung zu Kultur und dem Umgang damit zu befragen. Besonders interessierte uns, wie die einzelne Person Kultur versteht, inwiefern Religion für sie dazugehört und ob der Staat Kultur fördern sollte. Was dabei herauskam, war so vielfältig wie der Gegenstand der Untersuchung selbst.
Auffallend war die grosse Ratlosigkeit, die anfänglich in vielen Gesichtern herrschte. Kultur, das sei doch irgendwas mit Musik und Theater, eine Beschäftigung für abgehobene Schichten meinten manche. Andere wiederum sahen die Kultur als essenzielle Grunderfahrung eines jeden Menschen. Verschiedenste Dinge wurden genannt, von Gemälden und Museen hin zu Fussballspielen und Händeschütteln. Mir schien, dass viele Mühe hatten, Kultur selbst zu definieren, jedoch unzählige konkrete Beispiele dazu nennen konnten. Trotz diesen Schwierigkeiten war die grosse Mehrheit der Kultur gegenüber positiv gestimmt. Für viele befragte Personen stellt sie einen wichtigen Teil im Leben des Menschen dar. So wichtig, dass die Meisten staatliche Förderung davon guthiessen. Auffallend war jedoch auch die grosse Skepsis, die gegenüber der Religion herrschte. Religion als Kulturphänomen wurde von den Befragten nie genannt, ausser es wurde spezifisch von uns erwähnt. Gleichzeitig war für viele Menschen klar, dass Kultur und Religion eng miteinander verwoben sind. Massnahmen, welche den Dialog und die Toleranz fördern, wurden begrüsst. Mir scheint, dass Religion als Kulturphänomen für viele der Befragten mit negativen Bildern und Erfahrungen verbunden ist. Zu oft wurde wohl die hässliche Fratze gezeigt. Um das schöne Gesicht mehr vortreten zu lassen ist Reflexion, Dialog und Toleranz besonders gefragt. Religion wie Kultur ist zu vielfältig, um sie unter eine Sichtweise fallen zu lassen.
So kann am Ende zwar nichts definitives ausgesagt, aber doch einiges gezeigt werden. Kultur ist zutiefst menschlich und spaltet die Gemüter wie sie sie zusammenbringt. Von ihrer schönsten Seite zeigt sie sich, wenn wir sie in Offenheit und dem Bewusstsein ihrer Wandelbarkeit ausleben.