15.04.2019

Reisen - Neue Sichten gewinnen und die eigenen vertiefen, erweitern und durchdenken

Durch die Gassen

Nicht jede meiner Reisen hat ein konkretes Ziel. Ziellos durch die Gassen und Strassen einer fremden Stadt zu schlendern, ermöglicht mir Einblicke und Erfahrungen, die bei einem rein «touristischen» Ausflug wohl entgingen. Doch diese Reise hat ein gewisses Ziel sowie Struktur. 
Meine Reise führt mich in die zweisprachige Stadt Biel / Bienne, wo man als Deutschschweizer auch ohne Französischkenntnisse und durchaus mit Dialekt sehr gut auskommt, und trotzdem die Eigenart der Romandie verspürt. Ich bin hier, weil ich den Spaziergang Weltsichten – Wenn Frauen reisen machen möchte. 
Passanten überschreiten den Robert-Walser Platz, um ins Medienhaus, ins Ausbildungszentrum oder um zum Bahnhof zu gelangen. Es ist November. Bei diesem Herbstwetter ist kaum jemand am Verweilen. Die Menschen schreiten mit grossen Schritten zu ihrem jeweiligen Ziel. 
Raus in die weite Welt 
Dieser Platz steht auch im Zusammenhang mit der Medienpionierin und Frauenrechtlerin Laure Wyss. Die weit herumgekommene Schriftstellerin, Lehrerin, alleinerziehende Mutter, Journalistin und Fernsehpionierin setzte sich aktiv für die Emanzipation ein. Für die 1960er Jahre war dies keine Selbstverständlichkeit. Ob ihr mehrjähriger Aufenthalt in Schweden dabei eine wichtige Rolle spielte? Mit dem Reisen öffnen sich neue Horizonte. Der Kontakt mit Menschen, die in anderen Umständen leben und andere Perspektiven haben, lässt einem selbst Vergleiche und Schlüsse ziehen vielleicht auch konkrete Konsequenzen für die eigenen Handlungen. 


Die Ruhe des Wartens

Nicht ahnend, dass sich die Ruhe auf dem Platz im Verlauf des Tages wandeln wird, laufe ich zum Bieler Bahnhof. Den modernen, gut beleuchteten Wartesaal des Bahnhofs erblicke ich rasch, jedoch nicht den historischen. Letzterer ist schwach beleuchtet und rar besucht, geht im Menschenstrom etwas unter und ist für jemanden von Ausserhalb nicht auf Anhieb erkennbar. Ein junges Mädchen spielt auf ihrem Smartphone, ein älterer Herr scheint hier in der Wärme die Zeit zu überbrücken und ein junger Mann blickt in die Weite; vielleicht denkt er über seine nächsten Reiseziele nach. Denn so ein Wartesaal ist das Sinnbild des Kommens und Gehens, der Bewegung - panta rhei. Und ich, der die Wandbemalungen im Jugendstil zu interpretieren versuche und Fotos schiesse. Denn die lebensfrohen Farben laden förmlich dazu ein. Die Frau und ihr Körper steht im Mittelpunkt der Bemalungen. Die Frau wird hochgehalten und angepriesen. Je nach Interpretation kann es aber auch ambivalent sein und als Objektivierung gedeutet werden.
Der Rundgang führ mich durch weitere Orte. Orte, an die Frauen aus der Ferne hinfanden oder sie verliessen, um in die Ferne zu ziehen. Frauen als Künstlerinnen, Unternehmerinnen, Pilgerinnen oder als Reisende um der Reise Willen. 
Auf dem Robert-Walser Platz hat sich inzwischen eine Menschenmasse versammelt und hört einem Aktivisten zu, der von einer Bühne aus sich gegen die neue Autobahn einsetzt. Unterstützende verteilen Infoblätter, schwingen Parteiflaggen und strecken Plakate in die Höhe. 


Der Weg ist das Ziel

Reisen erweitert den Horizont und den Charakter. Neue Ideen, Sichtweisen und Perspektiven gelangen so in den Erfahrungswertschatz und teilweise auch in den gelebten Alltag des Menschen. Die Perspektiven von Frauen die Biel mitprägten, öffnet neue Sichten auf das Reisen im Allgemeinen und spezifisch auf Biel. 
Ich empfehle diesen Spaziergang durch Biel jedem weiter. Es war für mich eine Bereicherung, viele schöne Ecken und deren historische Verortung kennenzulernen.